Über die Grenzen hinaus

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Rafael de Santiago
Präsident der FCI
Die gegenwärtige Nomenklatur der Rassen der FCI: wer, wie und wann?
Teil 2/2

Die FCI-Rassennomenklatur, dreißig Jahre später, von ihrem Autor

Die FCI erhält regelmäßig Anfragen zur Entstehung der aktuellen Nomenklatur der Hunderassen, der sogenannten Nomenklatur von Jerusalem aus dem Jahr 1987. Sie hat entschieden, zunächst einen Artikel zu veröffentlichen, den ich im Jahr 1988 für den englischen Bulldogverein geschrieben habe, und einen weiteren von Tierarzt Dr. Surget (http://newsletter18.dogdotcom.be/fr/nomenclature.aspx), eminentes Mitglied der Tierzuchtkommission der SCC, für den ich natürlich voller Lobes bin.

Ich habe mir gedacht, dass die heutigen Hundefreunde vielleicht mehr darüber erfahren möchten, ohne Phrasendrescherei. Die Basisartikel, Sitzungsprotokolle, Korrespondenzen und Verhandlungen füllen eine umfangreiche Akte aus. Auch wenn die "neue Nomenklatur" offiziell am 23.06.1987 in Jerusalem verabschiedet wurde, ist sie für mich schon über 30 Jahre alt: Es begann in Paris bei einer Sitzung der Tierzuchtkommission des französischen Kynologenverbands SCC, auf Initiative von Herrn Henri Lestienne, Präsident des SCC und Vorstandsvorsitzender der FCI (damals eine vom Amt des FCI-Präsidenten separate Funktion), und Herrn Karyabu, Präsident des japanischen Kynologenverbands, der meinem Projekt sehr positiv gegenüberstand. Seit den 1950er Jahren waren die Hunderassen in zehn Gruppen unterteilt (zuvor waren es 11 Gruppen), die auf dem berühmten "gelben Papier" präsentiert wurden. Die Klassifizierung war "gebrauchsorientiert". Henri Lestienne wollte zunächst nur, dass "etwas aufgeräumt" wird, da die Ergänzungen teilweise aufs Geratewohl erfolgt waren, oder um diesem oder jenem eine Freude zu machen, und manchmal sogar, um gegen den Wunsch eines Vereinspräsidenten anzugehen. Dr. Yves Surget hat diese Ungereimtheiten oder, wie er sagte, "Häresien" des "gelben Papiers" sehr gut aufgezeigt. Was mir zunächst auffiel, war die Aufteilung der Spitze auf verschiedene Gruppen, die Tatsache, dass die Laufhunde zwei verschiedene Gruppen hatten (was nicht erstaunlich ist, wenn man bedenkt, dass die Société Centrale Canine von Mitgliedern des Jockey Clubs und von Parforcejägern gegründet worden war), und dass die Hunde anhand der Größe ihres Jagdwilds eingeordnet wurden, und nicht anhand ihres eigenen Formats. Bei den Jagdhunden herrschte große Unordnung, denn es wurde nicht zwischen Iren, Engländern und Briten unterschieden (ganz zu schweigen von den Amerikanern). Die neunte Gruppe war ein "Sammelsurium". Außerdem hielt ich den "Gebrauch" als einziges Kriterium für unzureichend. War beispielsweise der deutsche Schäferhund noch ein Hütehund, oder ein Schutzhund? Zahlreiche "Schäferhunde" haben noch nie ein Schaf gesehen. Ihr Typ entspricht hingegen dem eines Schäferhundes. Wenn nur ein einziges Kriterium zu wählen wäre, dann die "Gesellschaft", die seit dem Mittelalter gefeierte Liebe des Hunds zum Menschen. Darum habe ich vorgeschlagen, nur eine Gruppe zu machen: "Hunde, deren Aufgabe darin besteht, den Menschen zu trösten, dass er ein Mensch ist". Dann galt es nur noch, sie in große und kleine Hunde zu unterteilen, wie es Isidor von Sevilla (Isidorus Hispalensis) bereits im 7. Jahrhundert tat. So habe ich daran gedacht, die Gruppen und vor allem die Untergruppen aus Hunden zu bilden, die demselben Typ entsprechen, und nicht demselben Gebrauch. Ich habe vorgeschlagen, sie anhand eines Bündels gemeinsamer Merkmale zu klassifizieren, wie in der Phonetik die Konsonanten anhand eines Bündels von Eigenschaften ("a bundle of features") klassifiziert werden. Dies war die Grundlage meines Artikels: "Für eine komponentenbezogene Definition von Gruppe, Rasse und Varietät", der in Heft Nr. 38, 1982 der französischen Kynologiezeitschrift "Revue officielle de la cynophilie française" erschien.

Welche distinktiven Merkmale sollten herangezogen werden? Ich dachte an zwei geniale Systeme, von Pierre Mégnin, früherer Armeetierarzt, aus dem Jahr 1897, und von Raoul Baron, Professor für Tierzucht an der Veterinärhochschule von Alfort zum Ende des 19. Jahrhunderts.

Klassifizierung von Pierre Mégnin

  • Lupoide Hunde (die wie Wölfe aussehen, Kopf in Form einer horizontalen Pyramide, keilförmiger Fang, usw.)
  • Bracoide Hunde (die wie Bracken aussehen, prismenförmiger Kopf, hängende Ohren, lange Lefzen, usw.)
  • Molossoide Hunde (die wie Molosser Hunde aussehen, so wie sie von Pierre Mégnin betrachtet werden: massiver, "kubischer" Kopf, kurzer, mächtiger Fang, massiver Körper, usw.). Für diesen Hundetyp erfinde ich den Ausdruck "Abschreckungshunde", die man "zeigt, um sich ihrer nicht zu bedienen".
  • Graioide Hunde (eine Wortschöpfung von Pierre Mégnin: die wie die griechischen Hunde aussehen, Hunde mit "schnellen Beinen", Kopf in Form eines länglichen Kegels, schmaler Schädel, spitz zulaufender Fang, schlanker Körper, eingezogener Bauch, usw.).

Baronsche Kriterien

  • Das Profil (Kopf und Körperbau)
    • gerade
    • konkav
    • konvex
  • Die Proportionen
    • mittlerer Typ
    • langgestreckter Typ
    • kompakter Typ
  • Das Format (Kombination aus Größe und Gewicht)

Dazu kommt die Beschaffenheit, die Länge und die Farbe des Haarkleids (Untersuchung von Professor Bernard Denis ab 1981), der Ansatz, die Stellung, die Form und die Größe der Ohren, die Form und Stellung der Augen, die Stellung der Rute, usw. Der Gebrauch wird weiterhin neben anderen Kriterien berücksichtigt. Es handelt sich um die alt überlieferte Arbeit, die einem bestimmten Körperbau entspricht. Genau wie beim Menschen ein Marathonläufer nicht wie ein Hundertmeterläufer gebaut ist, welcher sich wiederum vom Gewichtheber unterscheidet.

Historischer Prozess
Zwischen 1981 und 1987 haben wir zahlreiche Sitzungen abgehalten, wie ich in meinem Artikel "Die kleine, aber oh wie lange, Geschichte der Nomenklatur der Rassen" erzählt habe. Dreißig Jahre später können wir manche der Ereignisse vor unseren Augen Revue passieren lassen. Zunächst muss man sich darüber im Klaren sein, dass man auf Widerstand stoßen wird, wenn man die gesamte Organisation vollständig umkrempeln möchte. Es kommt die von mir als "Autobahnprinzip" bezeichnete Regel zur Anwendung: Wir sind dafür, unter der Bedingung, dass sie nicht durch unseren Garten führt.

Der im Jahr 1983 ernannte große FCI-Generalsekretär Edmond Defraiteur gab mir eine Auflage, nämlich die zehn Gruppen beizubehalten, und einen freundschaftlichen Ratschlag (denn er wurde schnell zu einem Freund und hielt mich sogar über die konfliktgeladenen Beziehungen auf dem Laufenden, die er mit Dr. Paschoud unterhielt, dem neuen Präsidenten der Standardkommission, der ich 1981 beigetreten bin), nämlich die Dachshunde alleine zu lassen. Ich hätte gerne eine freie Gruppe zur Verfügung gehabt, um Hunde vom Typ Pinscher und Schnauzer unterzubringen. Ich musste mich damit begnügen, ihnen in der 2. Gruppe, die die Wach- und Schutzhunde sowie Hunde mit Abschreckwirkung umfasst, eine Untergruppe zu widmen. Zunächst hatte ich geplant, alle Sennenhunde, einschließlich der Schweizer Sennenhunde, in der 1. Gruppe zusammenzufassen. Doch Hans Müller (der nach seiner Wahl zum FCI-Präsidenten im Jahr 1985 ebenfalls zu einem Freund wurde) riet mir am 03.11.1987 in Winterthur, die Schweizer Sennenhunde der 2. Gruppe zuzuordnen. Er sagte mir in jüngerer Zeit (2011), dass er dies nun bedauere. Was den Teckel oder Dachshund anbelangt, so habe ich zu Beginn zwei Vorstoße innerhalb der Société Centrale Canine unternommen. Mit meinem Vorschlag, sie in die 6. Gruppe einzuordnen, habe ich den Zorn des gebieterischen Dr. Guillet auf mich gezogen, eines bekannten Gynäkologen und passionierten Parforcejägers, der das große Wort führt. Die Antwort lautete "niet". Ich konnte ihm das Zugeständnis abringen, dass die Laufhunde nur noch eine Gruppe bekamen, was bereits ein großer Erfolg war. Er schrieb mir: "Sie sind intelligent, was Sie noch gefährlicher macht". Später leistete er genauso heftigen Widerstand, als wir auf Anregung von Dr. Paschoud, an den er sich als "Kollege" richtete, vorschlugen, innerhalb der 6. Gruppe, derjenigen der Laufhunde, eine Untergruppe für die Schweißhunde einzurichten. Dabei wurden sie bereits Mitte des 14. Jahrhunderts von einem großen Parforcejäger, Henri de Ferrieres, und zuvor schon 1260 von Brunetto Latini beschrieben. Nachdem wir Dr. Guillet überzeugt hatten, verteidigte er meine Nomenklatur genauso heftig, wie er sie zuvor bekämpft hatte.

Mein zweiter Vorstoß für die Dachshunde war, sie in die Gruppe der Terrier aufzunehmen. Servier hatte dies unter Gründung einer Gruppe der "sapeurs" (Pioniere) vorgeschlagen. Der Präsident des französischen Dachshundvereins, Herr Depoux, ein weiterer charakterstarker Kynologe, wollte mir daraufhin nicht einmal mehr die Hand reichen. In Deutschland war der Vorsitzende Gendrung, der eher dafür war, von Herrn Pepper abgelöst worden, der vollkommen dagegen war. Ein Ding der Unmöglichkeit!

Die von mir geschaffene Gruppe der Spitze traf hingegen auf keinerlei Widerstand. Herr Räber hatte sie bereits vorgeschlagen, doch für mich kam die Idee aus England (Margaret Osborne, "Reviewing the groups", Kennel Gazette, September 1982). Ich habe die Schaffung einer Untergruppe von doggenartigen Hunden und von Berghunden in der 2. Gruppe vorgeschlagen (kein Problem), sowie einer Untergruppe der Gesellschaftsterrier in der 9. Gruppe, mit dem Yorkshire und dem Silky, doch die Tierzuchtkommission in Frankreich (vor allem Dr. Surget) und mein Freund Uwe Fischer in Deutschland wollten alle Terrier zusammen lassen. Bei den Vorsteh-, Stöber-, Retriever- und Wasserhunden gab es keine größeren Schwierigkeiten. Hingegen gab es bei der 10. Gruppe, den Windhunden, ein großes Problem. Ich war der Nomenklatur von Pierre Mégnin und auch der Klassifizierung von Professor Denis der Veterinärhochschule von Nantes gefolgt, und hatte eine Untergruppe der Windhunde mit stehenden Ohren gegründet. Windhunde dürfen in Europa nicht für die Jagd eingesetzt werden. Mario Perricone, ein eminentes Mitglied der Standardkommission der FCI (und ein Freund) wies mich humorvoll darauf hin, dass diese Hunde mit stehenden Ohren in seiner Heimatregion, Sizilien, jagen würden. Durch meine Schuld würde ihnen die Jagd verboten werden! Darum haben wir 1989 den Cirneco, den Podenco und den Podengo in die 5. Gruppe in die Untergruppe der Hunde vom Urtyp transferiert, was umso leichter war, da sie von den Engländern als "Warren hounds", Wildgehegehunde bezeichnet werden, wobei mit Warren einst das Gebiet bezeichnet wurde, in dem sich die Herren das Jagdrecht vorbehielten. Dies gefiel Edmond Defraiteur.

Seit Beginn dieser Arbeiten gab es zwei Rassen, die ich für unklassifizierbar hielt: Den Rhodesian Ridgeback und den Dalmatiner. Beide wurden der 6. Gruppe zugeordnet, derjenigen der Laufhunde. Der Rhodesian wird dort letztendlich akzeptiert oder toleriert, auch wenn er nicht der Definition des Laufhundes bei der Parforcejagd entspricht (der das Wild spurlaut, nicht bellend, verfolgt). Für den Dalmatiner handelt es sich um eine vollkommene Häresie (Vorschlag der Standardkommission vom 30./31.10.1993, gegen den Widerstand von Mario Perricone, wobei sich der Präsident Paschoud enthalten hatte). Der Dalmatiner ist ein Bracke, der nicht jagt. Er hat nichts mit einem Laufhund zu tun, selbst wenn er einst hinter den Kutschen herlief. Ich war dabei nicht anwesend, da mir bei der Generalversammlung in Buenos Aires im Juni 1993 abgedankt worden war, und ich im Juni 1995 in Brüssel wieder eingesetzt wurde (ich habe noch die überschwänglichen Telefonanrufe von Dr. Paschoud, Uwe Fischer und Hans Müller in den Ohren). Ich hatte mich nicht beworben, doch ich glaube, Uwe Fischer hatte meine Kandidatur eingereicht.

Dr. Paschoud hatte seit seiner Wahl zum Präsidenten der Standardkommission am 21.12.1985 enorme Arbeit geleistet, und alle Gruppen und Untergruppen ergänzt, wobei er mit zahlreichen Ländern Gespräche geführt, sich um die Nummerierung und die CACIB-Vergabe gekümmert und die länderspezifische Aufteilung durchgeführt hatte, die von mir nicht vorgesehen war. Es war zu "seiner" Nomenklatur geworden, die er bei der Sitzung der Standardkommission in Paris am 08.11.1986 mit Entschlossenheit verteidigte (wir befanden uns in den baufälligen Räumlichkeiten der SCC, rue Réaumur), und erneut am 10.01.1987, vor dem FCI-Vorstand, und schließlich am 23.06.1987, bei der FCI-Generalversammlung in Jerusalem. Ich war dort gemeinsam mit dem Präsidenten Camille Michel und Dr. Guillet. Ich habe bei diesem Anlass erneut den Geist dieser neuen Nomenklatur der Hunderassen erklärt. Mir ist sofort klargeworden, dass zahlreiche Teilnehmer nichts zu diesem Thema gelesen hatten, es war völliges Neuland für sie. Die Atmosphäre war sehr gespannt, und es gab zwei Damen, die erbitterten Widerstand leisteten. Dreißig Jahre später glaube ich, sie befürchteten, ihre Freiheit zu verlieren. Ich habe noch in den Ohren, wie eine von ihnen, Frau Kincaid, mit der ich später ausgezeichnete Beziehungen unterhielt, mehrfach den Ausruf "Vote against!" wiederholte. Die Generalversammlung stimmte jedoch "dafür", aber nur mit 4 Stimmen Mehrheit: 17 Ja-Stimmen, 13 Nein-Stimmen und eine Enthaltung, und zwar Brasilien. Ich war erleichtert, da ich bereits zwei Jahre zuvor in Amsterdam eine Ablehnung hinnehmen musste (und zudem glücklich darüber, dass mein "Musterstandard" problemlos akzeptiert wurde), doch Dr. Paschoud war sehr enttäuscht. Bereits am 30.06.1987 sandte er das Protokoll der Generalversammlung von Jerusalem an die Mitglieder der Standardkommission: :

Neue Nomenklatur mit 17 gegen 13 Stimmen verabschiedet
(Widerstand der lateinamerikanischen Länder als geschlossene Front sowie der skandinavischen Länder). Sehr lange und schmerzliche Diskussion aus politischen und organisatorischen Gründen. Wenig oder keine Einwände aus kynologischen Gründen. Praktisch alle Sprecher stimmen überein, dass die vorgestellte neue Klassifizierung deutlich besser als die bisherige ist.

In meiner Antwort gehe ich auf das Wort "schmerzlich" ein: "Es ist schmerzlich, zu sehen, dass manche immer wieder Blickkontakt suchen, um zu wissen, wie sie abzustimmen haben"... "es ist richtig, dass bei dieser Angelegenheit die Kynologie durch die Politik, und zwar vor allem die im kleinen Kreise abgesprochene Politik, verdrängt wird".
Nach der (sehr intensiven) Arbeitssitzung in Winterthur am 03.09.1987 zwischen Paschoud, Defraiteur, Müller und mir selbst für die "endgültige" Fassung fand noch am 05.10.1987 eine Sitzung der Standardkommission in Wien statt, um Klassifizierungsprobleme zu lösen. Dr. Paschoud, der von vielen Seiten bedrängt wurde und es allen recht machen wollte, schickte uns zwei Tage vor der Sitzung eine "neue Präsentation", gab uns am ersten Sitzungstag eine zweite Version und am zweiten Sitzungstag eine dritte Version. Ich machte geltend, dass ich nicht an Schlaflosigkeit leide und infolgedessen nicht folgen könne, und Uwe Fischer setzte den Schlusspunkt: Wir beließen es bei Jerusalem und Winterthur.
Es kann immer noch der Transfer einer Rasse aus einer Gruppe in die andere erfolgen. Mindestens eine Rasse wurde hin und her transferiert (der amerikanische Akita hat von der 5. Gruppe zur 2. Gruppe gewechselt, und ist dann von der 2. Gruppe wieder in die 5. Gruppe zurückgekehrt.). Dies stellt die Flexibilität des Systems unter Beweis. Doch, wie ich am 23.06.1987 in Jerusalem anmerkte, bedeutet Flexibilität keinesfalls Anarchie

Auf Ausstellungsebene galt es noch, die Untergruppen im Ehrenring ins Rampenlicht zu rücken, und jeweils den Besten unter diesen Hunden auszuwählen, die eine gewisse Familienähnlichkeit aufweisen, bevor ein Gruppenbester und dann ein "Best in Show" ausgewählt wird. Träumen ist ja wohl erlaubt.

Raymond Triquet
29. Juli 2013



Für eine komponentenbezogene Definition von Gruppe, Rasse und Varietät
(Vorschlag von Herrn Raymond Triquet an die Tierzuchtkommission)

Die Definition des Begriffs „Rasse“ in meinem Wörterbuch der Hundefreunde (Dictionnaire de la cynophilie) ist kurz und bündig gehalten, wie es Tradition in solchen Werken ist: „Gruppe innerhalb einer Art, die im Allgemeinen vom Menschen aufrechterhalten wird und gemeinsame vererbbare distinktive Merkmale besitzt“. Um eine Verwechslung mit den „Gruppen“ der Rassen, die den Hundefreunden im Rahmen der FCI und der SCC geläufig sind, zu vermeiden, sei hier erläutert, dass die Rasse eine Untereinheit in der Gesamtheit der Art darstellt.

Die ausgezeichnete Studie von Herrn Professor Theret in der Revue officielle de la Cynophilie Française mündet in einer erweiternden Definition des Rassebegriffs, da sie morphologische, physiologische und psychische Merkmale anführt, die in den erblichen Typen enthalten sind. Meine Definition stützt sich auf die seinige. Es handelt sich um die Gesamtheit der gemeinsamen vererbbaren distinktiven Merkmale. Diese Merkmale haben die Subjekte derselben Rasse gemein und sie sind distinktiv, in dem Sinne der, dem Wort in der Phonologie zuteilwird, nämlich sie können den distinktiven Merkmalen anderer Rassen gegenübergestellt werden.

Ich habe in dieser Definition „vom Menschen aufrechterhalten“ notiert, da ich an die Hunderassen oder die Rassen anderer Haustiere dachte und nicht an menschliche Rassen. Die Art entstammt der Natur, die Rasse jedoch der Kultur, zumindest im Rahmen der Kynologie.

Nun soll das Prinzip der phonologischen Analyse untersucht werden. /k/ ist ein okklusiver Konsonant, aber er unterscheidet sich von anderen Okklusiven wie zum Beispiel /p/ dadurch, dass er velar und nicht bilabial ist. /k/ unterscheidet sich von /s/ durch mindestens zwei Merkmale: /s/ ist weder velar noch okklusiv. /k/ und /s/ sind jedoch beide Konsonanten.

/p/ und /b/ sind Konsonanten. Beide sind okklusiv, oral und bilabial. Sie unterscheiden sich durch ein einziges Merkmal: der erste Lauf ist stimmlos, der zweite Lauf ist stimmhaft. Man könnte sagen, /p/ und /b/ sind zwei „Varietäten“ derselben „Rasse“ der okklusiven, oralen und bilabialen Konsonanten. /k/ und /s/ gehören unterschiedlichen „Rassen“, unterschiedlichen „Gruppen“ an, da sie sich durch zu viele Merkmale unterscheiden. Sie gehören jedoch zur selben „Art“ der Konsonanten.

Genauso unterscheidet sich der Chihuahua durch mehr als ein Merkmal vom Mastiff. Es sind jedoch zwei Hunde, da sie die allen Hunden gemeinsamen Merkmale besitzen: „Säugetier, Fleischfresser, domestiziert, gehört zur Art Canis familiaris, zur Gattung Canis, zur Familie der Hundeartigen (Zehengänger, mit nicht einziehbaren Krallen, 42 Zähne, etc.)“. Sie gehören zwei unterschiedlichen Rassen, zwei unterschiedlichen Gruppen an.

Der Mastiff und die Bordeauxdogge unterscheiden sich, aber sie haben mehr gemeinsame Merkmale als der Mastiff und der Chihuahua. Man kann sagen, dass sie derselben Gruppe der Molosser angehören. Der Gruppe gehören alle Rassen an, die dieselbe Reihe von Merkmalen gemein haben. Es geht darum, diese Merkmale zu ermitteln, um jeder Gruppe eine Definition zu geben. Jeder Hund, dem ein oder mehrere dieser relevanten Merkmale fehlen, gehört nicht der Gruppe an.
Daher schlage ich folgende Definition der Gruppe vor: „Gesamtheit von Rassen, die eine bestimmte Anzahl von vererbbaren distinktiven Merkmalen gemein haben“.

Wenn man für die Definition der Rasse dieselbe komponentenbezogene Methode verwendet, findet man bei jeder Rasse die Merkmale, die sie von den anderen unterscheidet, innerhalb derselben Gruppe oder (und) derselben Art. Eine Rasse ist unterschiedlich, wenn ein relevantes Merkmal, oder mehrere, unterschiedlich sind. Solange alle gemeinsamen vererbbaren distinktiven Merkmale präsent sind, handelt es sich um dieselbe Rasse.

Nehmen wir eine Rasse als Beispiel, bei der eine Anzahl x an distinktiven Merkmalen ermittelt wurde. Jedes Tier, das diese Merkmale nicht besitzt, gehört einer anderen Rasse an (oder auch einer anderen Gruppe oder sogar Art). Jedes Tier, das diese Merkmale besitzt, gehört dieser Rasse an. Jedes Tier, das diese Merkmale sowie ein Zusätzliches besitzt, welches lediglich eine Untereinheit innerhalb der Gesamtheit der Rasse miteinander teilt, gehört einer Varietät an. Das Verständnis von Varietät ist durch das verdichtete Merkmalsbündel linguistisch gesehen umfangreicher als das Verständnis des Begriffs Rasse, der über mehr Reichweite verfügt.

Aus diesem Grund schlage ich folgende Definition der Varietät vor: „Unterabteilung innerhalb einer Rasse, deren Subjekte (, die die distinktiven Merkmale dieser Rasse besitzen) zusätzlich ein gemeinsames vererbbares Merkmal, oder mehrere, besitzen, die sie von den anderen Subjekten der Rasse unterscheidet (Größe, Farbe oder Beschaffenheit der Hautanhangsgebilde, Tragen des Behangs, etc.).

Der langhaarige und der kurzhaarige Bernhardiner weisen zum Beispiel alle Merkmale des Bernhardiners auf mit einem zusätzlichen relevanten Merkmal: der eine ist langhaarig und der andere kurzhaarig, wodurch sie zwei Varietäten derselben Rasse darstellen.

Jedes Mitglied der Untereinheit „Varietät“, die in der Gesamtheit „Rasse“ einbezogen ist, gehört dieser Gesamtheit an. Jeder langhaarige Bernhardiner, genauso wie jeder kurzhaarige Bernhardiner gehört der Gesamtheit „Bernhardiner“ an.

Diese Methode soll es ermöglichen, eine wissenschaftlichere Nomenklatur zu erstellen, einige Rassen den Gruppen zuzuordnen, denen sie angehören und nicht mehr das als Rasse zu bezeichnen, was lediglich eine Varietät ist und mehr oder weniger willkürliche „Gruppen“ zu vermeiden, auch wenn sie auf Verwaltungsebene gute Dienste geleistet haben mögen.

Revue Officielle de la Cynophilie Française, Ausgabe 38, 2. Quartal 1982, Société Centrale Canine.